Das haett es frueher nicht gegeben goes AEROPHILIA: Der Aufbau | Interview mit Martin Heuser

Ich sitze mit Martin Heuser – neben Gian Köhler einer der beiden Geschäftsführer von Kallias – unter einem provisorisch aufgebauten Pavillon, das uns einigermaßen Schutz bietet vor dem Regenschauer, welcher nach einem sehr heißen Tag für etwas Abkühlung sorgt. Vor nicht mal einer halben Stunde standen wir beide noch nebeneinander auf dem Festivalgelände und schlugen mit einem gewaltigen Presslufthammer die 1,20 Meter langen Stahlanker in den Boden, die später das Zelt der Hauptbühne halten sollen. Das alleine ist schon exemplarisch für den Spirit, der während des Aufbaus für das Aerophilia-Festival vorherrscht, und welcher sicher auch die Veranstaltung an sich zu einem vollen Erfolg werden lassen wird: Jeder hilft jedem, jeder setzt sich persönlich ein – alle übernehmen Verantwortung.

Und während der Regen auf die Plane prasselt und um uns herum das Helfercamp langsam füllt, weil das Abendessen unmittelbar bevorsteht, unterhalten Martin und ich uns über Kallias, das Aerophilia und wie es zu all dem kam…

Erzähl uns doch bitte erst einmal etwas über Kallias. Wer ihr seid, was ihr macht und so weiter.Aerophilia-Martin

Kallias ist eine Agentur mit drei verschiedenen Schwerpunkten. Gian und ich haben sie vor drei Jahren gegründet und kamen eigentlich aus dem Event-Bereich. Wir haben zusammen veranstaltet und dabei gemerkt, dass wir eigentlich sehr gerne immer wieder mit den gleichen Künstlern zusammenarbeiten. Es gab da eine sehr positive Wechselwirkung und so haben wir entschieden, dass wir das gerne zusammenführen wollten. Deswegen haben wir eine Booking- und Artistmanagement-Schiene zu der Veranstaltungsparte hinzugefügt. Da war es natürlich nahe liegend auch ein eigenes Label zu sein.  Seitdem sind wir Event-Agentur, Musik-Label und Künstler-Management.  So hat jeder seinen unterschiedlichen Zugang, über den er zu Kallias findet. Es gibt zum Beispiel Label-Nächte wo wir in erster Linie unsere eigenen Künstler präsentieren.  Dann gibt es wiederum Veranstaltungen wie Aerophilia, wo wir in erster Linie unserer Lust zum Veranstalten frönen.

Und seit wann gibt es Kallias?

In der Kombination Gian und Martin gibt es uns seit Januar 2010.  Zu dem Zeitpunkt hatten wir uns kennengelernt und sehr intensiv über Veranstaltungen, Unterhaltung im allgemeinen und Szenarien, die wir uns vorstellen können, sehr lange ausgetauscht und gemerkt, dass wir in dieser Hinsicht ähnliche Ideen haben. Gleichzeitig haben wir aber auch sehr unterschiedliche Herangehensweisen, woraus sich dann ein sehr spannendes Duo entwickelt hat.

Der Name Kallias klingt nach einer erzählenswerten Geschichte!

Der Name geht eigentlich auf die Veranstaltung zurück über die wir uns kennen gelernt haben: „Huldigung der Künste“. Das ist ein kleines Drama von Schiller, mit dem wir diese Veranstaltungsreihe eng verbunden haben. Auf der Suche nach einem Namen für die Agentur und dem Dach, was man eigentlich über „Huldigung der Künste“ und ähnliche Projekte setzen kann, haben wir uns dann wieder im Kreise Schillers bewegt und herausgefunden, dass er sich mit einem Freund die „Kalliasbriefe“ geschrieben hat. In diesen Briefen geht es um das Schöne im Leben. Und im Grunde ist ja das Nachtleben, die Musik, all das etwas absolut Schönes. Es ist auch Luxus, es ist auch Verdruss – aber es ist auch so wichtig. Und weil wir uns so viel darüber unterhalten haben, was für uns Unterhaltung ist, was für uns Entertainment ist, was für uns musikalische Philosophie ist – war es ein schöner Gedanke diesen Kallias-Dialog wieder aufzugreifen.

Du hast es ja eben schon angerissen, aber kannst du uns noch mal erzählen, wie genau sich die Idee zu diesem ganz großen Festival entwickelt hat. Das war doch sicher keine spontane Entscheidung über Nacht, sondern eher ein Prozess, oder?

Da hast du Recht! Aerophilia ist für uns ein sehr großes Event mit sehr vielen Facetten. Dem haben wir uns natürlich sukzessive angenähert. Mit Club-Nächten, mit eintägigen Open-Airs, was natürlich alles vom Aufwand her eher gering war, wenn man sich anschaut, was wir hier jetzt alles aufstellen. Wir haben einfach im Laufe der Zeit gemerkt, dass wir eben nicht einfach nur für das musikalische Programm verantwortlich sein wollen, sondern auch zum Beispiel über Dekoelemente nachdenken; wir arbeiten auch viel mit Lichttechnikern zusammen, die sich mit unserer Musik sehr gut auskennen.  Insgesamt ist einfach eine gute Synergie entstanden.  Wir haben auch Freuden bei Veranstaltungen geholfen, insbesondere beim „Luft und Liebe“-Festival in Berlin, wo wir uns über Jahre aktiv mit eingebracht und die Veranstaltung mit nach vorne gebracht haben, gerade was die Infrastruktur angeht. Und natürlich macht man sich dann irgendwann Gedanken, wie man so eine Veranstaltungen auf das nächste Level heben kann. Auch den musikalischen Schwerpunkt wollten wir noch ein bisschen verändern. So kam es zu Aerophilia-Gedanken, weil hier ja auch viel vom „Luft und Liebe“-Spirit her drinsteckt – ohne das gleiche Festival zu sein.

So sind wir dieses Jahr auch das erste mal mit Camping, während das „Luft und Liebe“ ja ein urbanes Open-Air war, wo die Leute einfach nach Hause gehen und wiederkommen, aber nicht dort nächtigen konnten. So betreten wir jetzt auch großes Neuland, denn diese ganze Camping-Sache ist auch für uns eine neue Herausforderung.  Ich kenne so etwas schon aus dem Sport. Da nennt man sowas das konstante Übertraining: Man nimmt sich 120% von dem vor, was man kann oder schon mal gemacht hat und verliert so die Angst davor, solche Dinge anzugehen. Das sorgt natürlich manchmal für Muskelkater, aber nur so lernt man ja neue Dinge.

Seid ihr denn die einzigen Veranstalter? Auf der Seite werden ja auch noch andere Labels präsentiert.

Genau, wir sind die Veranstalter, die das Ganze indiziert haben. Wir hatten den Wunsch uns musikalisch so aufzustellen, wie wir jetzt aufgestellt sind. Und natürlich wollen wir uns als Label auch als Teil des Konzeptes sehen. Wir sehen es aber eher so, dass wir mit unseren Künstlern eine Abwechslung hineinbringen und das Programm ergänzen.  Insofern ist das hier nicht das Kallias-Festival, sondern ein Festival, das von Kallias ausgerichtet wird; es könnte rein theoretisch auch ein Aerophilia-Festival ohne Künstler von Kallias geben, weil hier der Aerophilia-Gedanke absolut übergeordnet ist. Denn wir feiern hier nicht uns, sondern wir feiern Musik und den musikalischen Gedanken. Deswegen haben wir halt viele Labels mit an Bord geholt, um eine größtmögliche Abwechslung zu bieten. Labels wie wie Hongkong. Junge Labels bei den wir spannend finden, was dort passiert. Unser Anspruch ist, dass alle Labels sich so präsentieren können, wie sie Musik interpretieren. Es ist ja so: Wenn man aus dem Portfolio eines Labels einen einzelnen Künstler herauszieht, dann spielt der wahrscheinlich ein erstklassiges Set, aber es ist schwierig davon die Bandbreite des Labels abzuleiten. Wir haben das bei uns gemerkt: Egokind und Alle Farben machen ja sehr unterschiedliche Sachen, die aber von vielen gemocht werden. Abgerundet wird das dann von Bebetta oder KlangKuenstler. Erst in der Gänze entsteht ja ein Gesamtbild von Kallias und unser Gefühl für Musik in seiner Variabilität, den ein einzelner Künstler ja gar nicht abbilden könnte. Und so ist es ja bei anderen Labels auch. Deswegen haben die Labels es in unseren Augen verdient, dass man sie im Block dahinsetzt, damit sie sich in ihrer ganzen Komplexität präsentieren können. So ergänzt und setzt sich ja auch alles zu einem sehr abwechslungsreichen Programm zusammen.

Und natürlich ist auch der Gedanke, dass die Künstler auch gerne kommen – gerne auch etwas länger kommen, weil sie ihre Leute, ihre Crew kennen und nicht einfach nur, weil sie da eh niemanden kennen, ihr Set spielen und dann wieder abhauen. Könnte man so etwas wie einen familiären Gedanken nennen.

Da kommen wir ja schon dahin, was ihr für einen Anspruch an Aerophilia habt, gerade aus Sicht der Veranstalter. Was glaubts du, oder was möchtest du, was dieses Festival zu der deutschen oder sogar europäischen Open-Air-Landschaft hinzu addiert? Es soll ja wahrscheinlich nicht einfach nur ein weiteres Festival sein, oder?

Ich glaube, abgesehen davon, dass wir mit den Labels und den Künstlern sehr ehrlich und verantwortungsvoll umgehen wollen, wie ich ja gerade beschrieben habe, geht es in erster Linie darum, bestimmte Zielgruppen anzusprechen und eben nicht mit wildem Name-Dropping einfach nur ein beeindruckendes Line-Up aufzustellen, bei dem man dann aber nicht weiß: Wer soll da als Publikum eigentlich hinkommen? Trotzdem wollen wir natürlich eine bestimmte Größe erreichen. Ein Festival, das ich zum Beispiel absolut klasse Finde, das „Nacht Digital“ hat sich ja die Grenze von 3000 Menschen auferlegt. Das kommt natürlich aus dem Anspruch heraus, alles wirklich auch bewältigen zu können, vielleicht auch die versteckten Kosten zu minimieren, die ja ein Festivalbesucher kaum auf dem Schirm hat; Behördliches, Sicherheitsauflagen, etc. So eine Restriktion begrenzt einen aber natürlich in seinen Möglichkeiten. Unsere Idee war daher, den absoluten Festival-Charakter zu leben mit allem was das bedeutet und dabei die Musik zu repräsentieren, die wir besonders mögen: Nämlich in erster Linie alles aus dem House-Bereich, sei es Deep-House, sei es Tech-House. Wir haben den Eindruck, dass auch gerade diese Musik einen Boom erlebt, und dass es so viele schöne Momente mit ihr gibt und so viele tolle Erlebnisse damit verknüpft sind, dass wir einfach genau dieser Musik eine große Bühne bieten wollen.
Ein weiterer Unterschied ist, dass wir auch eher über die DJ- und LiveAct-Schiene kommen und weniger aus dem Band-Kontext heraus, was auch eine Besonderheit ist.

Ich höre da schon raus, dass ihr auch schon in die Zukunft plant und das Ganze nicht als Testballon seht, nach dem ihr erst entscheidet, wie es weitergeht?

Sagen wir mal so: Wir haben das alles konzeptionell schon so angelegt und durchdacht, dass es Potenzial hat in den nächsten Jahren zu wachsen und zu reifen – also groß werden kann. Wir haben mit einer Clubtour angefangen im Winter, sind durch vier Städte gefahren und haben gemerkt: Das ist wirklich das, was wir wollen! Und nachdem es sehr lange Zeit viel Schreibtischarbeit war, geht es jetzt ja hier direkt auf dem Gelände in die heiße Phase. Und so sammeln wir bereits viele Erfahrungen und Impressionen, was uns natürlich emotional noch viel mehr bindet, als wenn man sich das Gelände auf Google-Maps anschaut.

Aber natürlich ist jetzt die Frage: Wie wird das Ganze angenommen? Von den Künstlern haben wir bereits ein sehr positives Feedback bekommen und auch von vielen Musikinteressierten und –verbreitern: wie Blogs und Zeitschriften ist uns gegenüber nur großes Interesse und Wohlwollen entgegen gebracht worden. Letztendlich entscheidet aber natürlich das Publikum. Wie viele kommen, haben Spaß, verbringen eine gute Zeit und verstehen uns und das, was wir hier erreichen wollen. Vielleicht überraschen sie uns auch mit Dingen, Aktionen und Input. Sachen, die wir gar nicht antizipieren konnten, die das Festival dann erst wirklich zu etwas ganz Eigenem und Besonderem machen. Von dieser Art unvorhersehbarer Dynamik lebt ja so ein Festival auch und macht es erst richtig lebendig.
Unser Wunsch und unser Ziel ist auf jeden Fall Aerophilia jedes Jahr im August hier stattfinden zu lassen. Das haben wir auch den Betreibern dieser Anlage hier signalisiert und die freuen sich auch sehr darüber. Dieses Wochenende soll also der Start einer langen Reise werden. Auf der anderen Seite muss es aber auch wie bei jeder Reise die Chance geben, festzustellen, dass man auf dem falschen Weg ist und man einen anderen einschlagen muss. Aber davon gehen wir natürlich erst mal nicht aus!

Letzte Frage: Wie findet man mitten im Brandenburgischen Nirgendwo diesen Stahkoloss?

Ehrlich gesagt ist die Suche gar nicht so romantisch wie man sich das vielleicht vorstellt. Wie die meisten Veranstalter gerade aus Berlin haben auch wir gemerkt, dass man in der Hauptstadt immer weniger darf. Das heißt, es findet in Festival statt und dann beschweren sich die Anwohner und die Location ist als Veranstaltungsort gestorben. Das führt dann dazu, dass man sich als Veranstalter fragt, wie weit geht man aus der Stadt raus, wovon hat man vielleicht schon gehört und irgendjemand im Team hat dann dieses Besucherbergwerk hier ins Spiel gebracht.
Und natürlich waren wir sofort sehr beeindruckt. Dieses stählerne Ungetüm, das man schon aus weiter Ferne sieht, bietet einfach eine unglaublich surreale Kulisse, die einfach nur einmalig ist.
Dazu kommt, dass man direkt an dem riesigen See campen kann, der in dem Loch entsteht, das dieses Riesending in die Landschaft gegraben hat. Wir haben jedenfalls sofort das Potenzial gesehen und sind sofort mit den Menschen hier in Kontakt getreten. Und ich muss sagen, egal ob auf den Ämtern und bei den Behörden, als auch bei den Betreibern, sind wir nur auf nette Menschen gestoßen, die uns sehr wohlwollend unterstützt haben und mit diesem Vertrauen und dieser Unterstützung im Rücken lässt sich solche eine Veranstaltung natürlich um einiges leichter planen und umsetzen, als wenn man gegen Vorbehalte ankämpfen muss.

Vielen Dank, Martin!

 

Dieser Beitrag wurde unter Freunde, Partys veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.