Irwin Leschet: „Wow, wie sind wir denn jetzt hier gelandet?“

Wer kann sich denn noch an sein allererstes Lied aus dem elektronischen Bereich erinnern? Visage? Kraftwerk? Jean Michel Jarre? U96? Marusha? Spätestens ab Anfang der Neunziger war das alles in der Gesellschaft unter dem Oberbegriff „Techno“ subsummiert – wobei dem Großteil der Bevölkerung nicht einmal bewusst war, dass es sich dabei um einen unzureichenden Oberbegriff handelte.

Und ist es nicht spannend auf diesen Zeitraum zurückzublicken und seine eigene Entwicklung parallel zu der der elektronischen Musik Revue passieren zu lassen. Zu was hat man nicht alles im Laufe der Zeit getanzt, gefeiert, schöne und auch traurige Momente verlebt.

Der Blick zurück auf die Wurzeln des eigenen Musikgeschmacks ist manchmal ein verwunderter, und das gilt für Künstler, welche diese Veränderungen und Strömungen noch viel direkter, nämlich in ihrem Schaffen miterleben, um einiges mehr. Heute freuen wir uns mit dem Kölner DJ und Produzenten Irwin Leschet solch eine Zeitreise antreten zu dürfen.

Irwin, ernsthaft? Du sagst uns, dass du seit 1992 an den Decks stehst? Dann bringen wir mal die schleimigste aller Floskeln an: Das sieht man dir gar nicht an.

(lacht) Danke. Aber es stimmt. Seit Anfang der 90er Jahre stehe ich an den Plattentellern. Angefangen hab ich mit Crossover, Darkwave und Indie. Dann kam 1994 Techno hinzu mit allem was dazu gehörte:  Lange Nächte, weite Reisen zu Partys, neue Erfahrungen…“

Aber selbst aufgelegt hast du nur zu Hause im stillen Kämmerlein oder wie?

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Nee, bis 1996 habe ich Partys in Trier veranstaltet, nach dem Umzug nach Köln 1996 wurde ich Resident im „Liquid Sky Cologne“, 1998 dann auch Resident bei den „Elektro Bunker“-Partys. Ich hab zu der Zeit oft mit drei Plattenspielern gespielt und auch sehr viel lediglich Endlosrillen aufgelegt

Endlosrillen? Du meinst diese Killer-Loops?

Ja genau. Von denen hab ich zwischen 1999 und 2002 viele rausgebracht. Insgesamt sicher 400 Endlosrillen auf Vinyl gepresst. Cologne Cycles, Illegal Loops und Shot Tools hießen die Releases.

Wie gings denn dann weiter? Ist ja noch ein langer Weg zu dem deepen Sound, den man heute so von dir kennt.

Dann hab ich eine Weile Bastard Pop beziehungsweise Mash-Ups für mich entdeckt und war 2004 der einzige Deutsche bei der „International Bastards“ DJ-Konferenz. In dem Jahr habe ich dann auch die SILBERSCHWEIN-PARTY ins Leben gerufen.

Wir überraschen dich an dieser Stelle mal und fragen nicht das Obligatorische, nämlich woher der … na ja … sagen wir mal ungewöhnliche Name her kommt, sondern lassen dich gleich die Werbetrommel rühren. Was zeichnet die Party aus? Immerhin hält sie sich ja seit bald 10 Jahren.

Ich glaube, dass die Partyreihe sich wie die verschiedenen Musikrichtungen immer wieder neu erfindet, nie still steht oder bei einem bestimmten Stil Halt macht. Mir ist es wichtig über den Tellerrand zu schauen. Das Gute ist ja, da ich Booker und Resident bin, kann ich das gut steuern. Ich versuche immer die Balance zwischen deepen, groovigen Tunes und Zitaten aus vielen Jahren Musik-Geschichte zu finden – gerne auch mal mit einem Augenzwinkern garniert. Ich geh gerne auch mal deutlich unter 120BPM – bau aber auch Breaks und alte Klassiker ein.

Um die Party aber weiterhin überraschend zu halten würd ich mir für die SILBERSCHWEIN-PARTY das ein- oder andere DJ-Austauschprogramm wünschen – denn wir würden sie gerne auch in andere Städte und Länder bringen…

Oha. Das klingt ja ambitioniert. Gibt es schon was Konkretes?

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Hast du neben der Organisation und dem Auflegen eigentlich noch Zeit zum Produzieren?

Ja, schon. Und ich hab seit 2009 ja auch ein eigenes Label. Auf dem veröffentliche ich meine Produktionen, die ich gemeinsam mit Sirius Lee Wilde als „Leschet & Wilde“ herausbringe. Und manchmal, so etwa alle drei Monate, finde ich sogar noch die Zeit, zu Hause ein Set aufzunehmen. Dieser spiegelt immer auch mein DJ-Leben in diesem Zeitraum wider, denn 80 bis 90 Prozent der eingesetzten Tracks habe ich in diesen drei Monaten ausgesucht/ gekauft.

Frueher-Irwin-03Erzähl uns mehr. Spielst du einfach drauf los oder wie stellst du deine Sets zusammen?

Die Genres in meinen Mixen wechseln gerne einmal, so dass man beim Anhören der einzelnen Tracks gar nicht glauben würde, dass sie gemeinsam in ein Set passen. Und trotzdem „schmiegen“ sie sich mitunter so aneinander, dass sie minutenlang zusammen laufen können. Ein Beispiel hierfür sind „Indulge me“ und „Vapour“ aus meinem aktuellen Set, die gemeinsam fast schon Mashup-Qualitäten entwickeln. Wenn die Zusammenstellung steht, kommt mir ein Name dafür meist schnell von selbst. Bei „A Night Out With The Clowns“ kamen mir einige lange Nächte und Tage in den Sinn, die wir im Januar und vor allen Dingen bei meinem Geburtstag im Februar gemeinsam verbracht haben.

Und dein Anspruch an deine Mixe? Es soll gut klingen oder verfolgst du auch ein tiefgründigeres Ziel?

„A Night Out With The Clowns“ thematisiert das meinem Empfinden nach ambivalente Wesen des Clowns – vordergründig lustig, unterhaltsam, gut gelaunt, hinter der Maske gerne tiefgründig, nachdenklich, melancholisch, manchmal auch traurig oder sogar bedrohlich. Durch Trackauswahl und Reihenfolge habe ich versucht, genau das musikalisch auszudrücken. Bedrohlich wird es dabei allerdings am wenigsten, höchstens vielleicht in dem Moment, in dem „Heroin“ von Air Liquide in den Mix kommt. Aber wie es bei Clowns nun mal so ist , wird dieser kurze Moment sehr schnell vom lieblichen „I feel Space“ abgelöst.
Ich erzähle in meinen Mixen gerne Geschichten und stelle mir vor, dass die Zuhörer sich von Zeit zu Zeit fragen „Wow, wie sind wir denn jetzt hier gelandet?“ Der Spanungsbogen zwischen Harmonie und Flow auf der einen und Dynamik auf der anderen Seite ist das Spannende für mich. Außerdem versuche ich, durch die Songauswahl etwas zu entwickeln, was auch in einem oder zwei Jahren immer noch gut zu hören ist.
Das größte Lob ist für mich, wenn ich gesagt bekomme, dass meine Mixe beim mehrmaligen hören immer besser werden, weil man Einzelheiten erkennt. Oder wenn ein Producer mir schreibt, dass er seinen Track in meinem Mix gut aufgehoben, beziehungsweise perfekt integriert findet.

Ok, Irwin. Wir danken dir. Und jetzt wird es höchste Zeit, dass wir in dein Set reinhören.

Ich danke euch.

Tracklist

Soil Ain’t Solid feat. Reecode – 25_7 Mode
Oxia – Harmonie
David K feat. Marie Chain – Open Eyes (Tom B Remix)
Wankelmut, Emma Louise – My Head Is A Jungle (Original Mix)
Exuma – Bill (Christopher Schwarzwalder Edit)
Air Liquide – Heroin
Lindstrøm – I Feel Space
Monkey Safari – Hi Life (Ole Biege Remix)
Sascha Braemer – People (Original Version)
Christian Smith – Indulge Me
Aleah – Vapour (Mirco Niemeier Edit)
Agnes Obel – Brother Sparrow (Melokind Edit)

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Silberschwein-Party

 

 

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